Dr. Éva Pintér hält für prophil-Mitglieder am 13. Dezember einen
Vortrag über Gershwin und Ives.
Éva Pintér ist vielen Besuchern der Philharmonischen Konzerte gut
bekannt. Die Musikwissenschaftlerin verfasst nicht nur kluge Texte über
die Musikstücke in den Programmheften. Sie gibt auch zu jedem Konzert eine
Einführung. Dafür hat sie ein festes, dankbares Publikum. „Ich will
keine wissenschaftliche Vorrede halten“, sagt sie. „Ich will Lust
machen auf die Musik.“ So gibt sie Empfehlungen, wann die
Konzertbesucherinnen und -besucher ganz genau hinhören sollten. Weil es
etwas Besonderes zu entdecken gibt.
Mitglieder von „prophil“ haben am Sonntag, dem 13. Dezember,
Gelegenheit Éva Pintér ausführlicher zu begegnen. Eine Stunde lang, die
Hälfte davon ausgewählte Musikbeispiele, wird sie über „Gershwin und
Ives – zwei Gesichter der amerikanischen Musik“ sprechen. Anschließend
können Fragen gestellt werden. Die Veranstaltung in der Plantage 13
beginnt am dritten Advent um 16 Uhr. Neugierig auf den Vortrag, stellte
Karla Götz der Musikwissenschaftlerin schon vorab ein paar Fragen.
Gershwins „Amerikaner in Paris“ kennen viele Musikliebhaber,
was ist das Besondere im Programm des vierten Philharmonischen
Konzertes?
Éva Pintér: Die Fassung, die Markus Poschner ausgewählt hat, ist eine
Rarität. Es wird eine Welterstaufführung. Das Stück hat wesentlich mehr
Takte als die allgemein bekannte Fassung. Sie ist die wirkliche Grundlage
für verschiedene Änderungen und Arrangements, die später folgten.
Ives wird den meisten Konzertbesuchern sicher weniger
sagen?
Bedauerlicherweise ist Charles Ives weniger bekannt als George Gershwin.
Zu Unrecht. Ives ist seit meiner Studienzeit in Budapest für mich ein
Lieblingskomponist.
Was ist das Besondere an seinen Kompositionen?
Bei „Three Places in New England” (Drei Orte in Neuangland), die auf
dem Programm stehen, kann man sehr schön seinen speziellen Stil
kennenlernen. Er legt die Musik in Schichten übereinander. Hier sind es
Märsche. Was für ein Geheimnis steckt dahinter? Ives verarbeitet
Eindrücke seiner Kindheit. Sein Vater war Musiker, Leiter eines kleinen
Orchesters in Connecticut. Wenn er seinen Vater zu Auftritten begleitete,
dann hörte er simultan die Musik mehrerer Kapellen. Das hat ihn
geprägt.
Ives wird in der Musikwissenschaft als Pionier der Avantgarde
angesehen. War er in Amerika ein Vorkämpfer für neue, atonale
Musik?
Ein Pionier Neuer Musik zu sein, hätte der Komponist niemals für sich
beansprucht. Er liebte aber das Experiment und scheute nicht vor
Dissonanzen zurück. Ives wurde in Europa früher entdeckt als in den USA.
Er rang um seinen Stil und war eigentlich nie mit einem Werk fertig, von
seiner zweiten Klaviersonate gibt es allein zehn Manuskriptfassungen. Die
„Three Places in New England“ sind ein außerordentlich anspruchsvolles
Werk, an das sich Markus Poschner heranwagt. Es verlangt eine große
Besetzung. Wir dürfen gespannt sein.
Wenn die beiden Komponisten zwei Gesichter der amerikanischen
Musik sind, im Sinne von höchst unterschiedlich, gibt es denn dann
überhaupt eine Gemeinsamkeit zwischen Gershwin und Ives?
Oh ja, Sie müssen sehen, die Musikgeschichte der USA ist relativ jung.
Sie haben dort keine Renaissancemusik oder Madrigale aus dem 15.
Jahrhundert. Das ist natürlich geschichtlich begründet. Gershwin und Ives
verbinden ihre Musik des 20. Jahrhunderts immer mit Unterhaltungsmusik. Da
gibt es keine Berührungsängste. Bei Gershwin sind es bekanntlich die
Musicals, aber auch Ives verarbeitet Märsche, Zirkusmusik und Tänze in
seinen Kompositionen.
Was dürfen wir am 13. Dezember von Ihnen erwarten?
Ich werde viele Musikbeispiele mitbringen, teilweise aus dem Programm
des Konzertes, aber auch andere. Außerdem gibt es einige Überraschungen,
mehr verrate ich nicht.
Frau Pintér, vielen Dank für das Gespräch.
Zur Person:
Dr. Éva Pintér hat in den 1970er Jahren in Budapest Musikwissenschaft
studiert. Dazu gehörte damals nicht nur Theorie, sondern auch praktische
Ausübung der Musik. Es war selbstverständlich, gut Klavier spielen und
Partituren lesen zu können. Die inzwischen 62-Jährige lernte in Ungarn
ihren Mann, Dr. Hartmut Lück, kennen und kam 1982 nach Bremen. 1992 wurde
sie an der Universität Hamburg promoviert. In ihrer Doktorarbeit
erforschte sie Leben und Werk des italienischen Komponisten Claudio
Saracini, der Anfang des 17. Jahrhunderts lebte. Hartmut Lück ist
ebenfalls Musikwissenschaftler, so dass die beiden zu Hause prima
fachsimpeln können. Beide gehören zu den 156 ehrenamtlichen Juroren, die
den renommierten Preis der Deutschen Schallplattenkritik vergeben. Éva
Pintér ist auf Chormusik spezialisiert, Hartmut Lück auf
Instrumentalkonzerte. Die profunden Kenntnisse der beiden spiegeln sich
auch in ihrer Wohnung wider. Neben vielen Fachbüchern reihen sich in den
Räumen CDs aneinander. Éva Pintér schätzt ihre Zahl auf 10.000 und
nennt sie „unser klingendes Lexikon“.