Prophil verfügt über viele Talente. Dies durften wir bei der letzten
Mitgliederversammlung erfahren, als unser Mitglied, Dr. Konrad Zaiss,
spontan anbot, einige sehenswerte Orte unserer Hansestadt im Rahmen einer
Literarischen Stadtführung vorzustellen. Waren einige Orte vielleicht
schon bekannt, wussten bestimmt nicht alle über deren genaue Herkunft und
Bedeutung Bescheid bzw. hatten so Gelegenheit, sie ganz neu zu sehen. Bei
strahlendem Sonnenschein und blauem Himmel trafen sich am 16.10. 21
prophil-Mitglieder, um viele, oftmals versteckte Sehenswürdigkeiten
unserer Stadt zu entdecken. Ausgangspunkt unserer literarischen Wanderung
waren die Domtreppen von St. Petri, auf denen unser Guide eine kurze
Einführung gab, was uns in den nächsten 1,5 Stunden erwarten würde.
Wussten Sie, dass im Dom der bekannte Adolph Freiherr Knigge (nicht sicher
„von Knigge“) begraben ist? Die Grabplatte ist in einem Seitenschiff zu
sehen neben anderen Bischöfen. Das ihm zugeschriebene „Benimmbuch“ war
eigentlich ein soziologisches Werk „Über den Umgang mit Menschen“ und
wurde irrtümlich zu dem Buch über Benimmregeln, wie wir es heute kennen.
In der Krypta des Doms erwartete uns dann der Blick auf eine kleine
Silbermann-Orgel, die dort steht. Bemerkenswert, da Silbermann-Orgeln, auf
denen auch Bach spielte, eigentlich in Thüringen zu finden sind. Im Norden
Deutschlands ist sonst der Orgelbauer Arp Schnitger zu Hause, der auch
viele kleine Dorfkirchen mit seinen bewundernswerten Instrumenten
ausgestattet hat.
Der Weg führte uns dann vorbei am Weltkulturerbe-Rathaus, an dem wir auf
eine Abbildung des Till Eulenspiegels aufmerksam gemacht wurden, die der
Steinmetz an einer Fensterumrahmung angebracht hatte. Über Eulenspiegel
existieren 97 Geschichten, von denen vier tatsächlich in Bremen spielten.
Eine beschreibt, wie der listige Till eine Marktfrau dazu brachte, ihre
ganzen Töpferwaren vor den Augen des Bischofs zu „zerdeppern“,
natürlich um eine Wette zu gewinnen.
Nächste Station unseres Rundgangs waren die Stadtmusikanten, die besonders
zahlreiche Gäste magnetisch anziehen. Die Geschichte der Brüder Grimm
wird nach heutiger Forschung nach Ostwestfalen, in die Nähe Paderborns
verortet, von dort zogen die 4 Musiker (die 5. Musikerin, die Hummel,
kennen nur Insider) zur nahen Siedlung „Bremerberg“. Geläufiger ist
jedoch die Erzählung mit dem Reiseziel Bremen, wo sie allerdings nie
ankamen. Die Geschichte der im übertragenen Sinn „Vorgänger der Bremer
Philharmoniker“ ist weltweit jedoch so bekannt, dass sie selbst Einzug in
japanische Grundschulbücher genommen hat.
Auf dem Weg in die Böttcherstraße begleitete uns der Gruß „Wagen un
Winnen“, der an der beeindruckenden Fassade der Handelskammer, des
Schütting, zu lesen ist. Die kleine textliche Korrektur an der
Eingangstafel des Paula-Becker-Modersohn-Hauses hätten wir übersehen,
wenn unser Guide nicht unsere Aufmerksamkeit darauf gelenkt hätte. Der
„Lichtbringer“ am Eingang zur Böttcherstrasse wurde ausführlich in
seiner Bedeutung vorgestellt, er dürfte aber allen Teilnehmern bereits
bekannt gewesen sein. Beim Gang durch die immer wieder schön anzusehende
Böttcherstrasse wurden alle erinnert, dass Kaffee ein Genussmittel ist,
mit dem sich auch trefflich Geld verdienen lässt, wenn ein erfolgreicher
Kaufmann die Sache in die Hand nimmt. Auf dem Platz vor dem Glockenspiel
erläuterte Herr Zaiss die Geschichte des Robinson Crusoe-Hauses. Der Name
stammt übrigens von einem nach England ausgewanderten Kaufmann namens
Kreutzner oder ins Englische übertragen, Crusoe. Roselius hatte den Namen
für das Architekturensemble selbst ausgewählt.
An der Fassade der Crusoe-Häuser in der Martinistraße entlang führte uns
der Weg zur Bredenstraße. Im dortigen Kaufmannshaus arbeitete drei Jahre
lang Friedrich Engels als Volontär. Schon 18jährig schrieb er von dort
als Korrespondent für die Augsburger Allgemeine über die Bremer
Gesellschaft. Er verursachte Aufsehen, als er eines Tages seinen Bart
abnahm und sein Angesicht „entstellte“. Sein Auftreten des auch der
Musik sehr zugewandten Herrn Engels war durchaus bemerkenswert, mit
Glacéhandschuhen und Zigarre, gern auch in einer Hängematte.
Die Überquerung der Martinistraße endete bei St. Martini bzw. dem
Pastorenhaus, das seitlich an das Kirchenschiff angebaut ist. Dort wohnte
Joachim Neander (eigentlich Neumann), der dort den Text des bekannten
Kirchenliedes „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“
dichtete. Zur großen Überraschung ertönte das vom Glockenspiel in der
Böttcherstraße gespielte Kirchenlied gerade in dem Moment, als wir die
Eingangstür des Pastorenhaus betrachteten.
Den Weg zurück nahm die literaturinteressierte Gruppe durch den
Fußgängertunnel unter der Martinistraße mit einem kurzen Abstecher in
den Schnoor (Haus „Ausspann“), bevor das Ziel erreicht wurde, das
„Forum am Wall“. Dort gab es den vorläufig letzten Literaturbaustein
unserer Wanderung. Herr Zaiss berichtete, dass der bekannte Schriftsteller
Mario Puzo („Der Pate“) seinen ersten Roman in Bremen spielen ließ. Er
war als amerikanischer GI in Bremen stationiert und lieferte mit „The
dark arena“ eine Milieubeschreibung Bremens in der Nachkriegszeit. Mit
einer Leseprobe in englischer Sprache aus diesem Debutroman von Mario Puzo
beendete Herr Zaiss die Literarische Stadtführung und erntete herzlichen
Applaus und großen Dank für einen erlebnisreichen Vormittag.
Nachdem nicht nur Wissenshunger gestillt wurde, sondern sich beim Rundgang
auch echter Hunger eingestellt hatte, bildete das gemeinsame Mittagessen im
„Fishermans Seafood“ einen schönen Abschluss. In angenehmer
Atmosphäre bei gutem Essen konnten die Eindrücke des Vormittags vertieft
und angeregte Gespräche unter den prophil-Mitgliedern geführt werden.